Gespräch mit Anne Schafmeister


Die sechs Filme Ihres Äquator-Zyklus erzählen Alltagsgeschichten und Erlebnisse von und mit Menschen in der Äquatorregion. Warum zieht es Sie dorthin?

Mein erster Kontakt mit der Welt am Äquator war der Rio Negro im brasilianischen Amazonien, ein berückend schöner Fluss, der durch eine ungeheure Wildnis fließt. Diese Tropen wurden mein Fernweh, und das hat mich immer wieder dahin gelockt. Dort wollte ich mich bewegen und Menschen begegnen, den Bewohnern des äquatorialen Amazoniens; sie sind die Akteure dieser Filme.

 

Der Äquator teilt die Welt in Nord- und Südhalbkugel. Besitzt dieses Gebiet deshalb eine besondere Wirkung?

Der Breitengrad Null, diese ausgedachte Linie von 40000 Kilometern, die die Welt in zwei Hälften teilt, ist die Schnittstelle zwischen Norden und Süden, der Meetingpoint an den Rändern der Hemisphären. Ich bin gern am Rand, im Dazwischen von Kulturen und Mentalitäten, an der Peripherie; dieser Ort ist mir lieb, ich ziehe ihn dem Zentrum und der Eindeutigkeit vor.

 

Der Äquator durchläuft elf Staaten. Fünf der Filme sind in Brasilien entstanden. Ihre Dreharbeiten haben Sie aber auch auf die afrikanischen Inseln São Tomé und Príncipe geführt.

Entdeckt habe ich die Insel mit dem Finger auf dem Globus der Äquatorlinie von Südamerika in den Atlantik folgend, denn auf dieser Linie liegt sie, ein Fastnichts im Ozean vor der Küste Afrikas. Sie erschien mir wie ein verwunschener Ort aus einem Märchen, was meine Neugier geweckt hat, also hab ich mich auf den Weg dorthin gemacht. Die Geschichte, die ich in 'Früchtchen' erzähle, ist denn auch ein Märchen, das sich an einem Ort zuträgt, wo das Zauberische und die Wirklichkeit keine Gegensätze sind und dessen Menschen nach Jahrhunderten portugiesischer Kolonialherrschaft wieder in ihrem afrikanischen Zuhause und Wesen sein können.

 

Steckt in Ihren Filmen über diese uns fremde Kulturen eine Botschaft?

Keine Botschaft. Ich komme als Europäer in eine Welt, die eine andere ist, in die Fremde, zu Fremden. Eine Welt, die entrückter ist als das, was der Blick über den eigenen Gartenzaun erhascht. Es geht nicht darum, diese andere Welt in Begriffe zu fassen und sie dergestalt zu vereinnahmen, ohne dabei etwas von ihr zu erkennen. Ich will im Erleben des Anderen mich ihm nähern, es erfahrend sehen und davon erzählen.

 

Charakteristisch für die Filme des Zyklus ist, dass sie sich zwischen Dokumentation und Fiktion bewegen. Wie entscheiden Sie, wann Sie beobachten und wann Sie inszenieren?

Die Grenzen zwischen Vorgefundenem und Erfundenem sind fließend in diesen Filmen. Ausgangspunkt ist immer die Reise, die Recherche, für die ich mir viel Zeit nehme. Sie ist der Boden für die Geschichte, die einmal dokumentarisch bodennah bleibt und ein andermal in die Fabel mündet. So kommen Fakt und Fiktion unter einen Hut. Die Gewichtung ergibt sich aus dem Verlauf meiner Reise und dem Schreiben des Drehbuchs. Entsprechend wechseln beim Dreh dann Beobachtung und Inszenierung.

 

Wie finden Sie Ihre Darsteller?

Die Darsteller in den Filmen des Zyklus - mit Ausnahme von 'Eclipse' und den beiden Piloten in 'Flieger' - sind Laien, nach denen ich oft lange gesucht habe. Die Mühe lohnt, wenn man sich gegenseitig finden und nahe kommen kann, um ein Stück miteinander zu gehen.

 

Wenn Sie nicht am anderen Ende der Welt Filme drehen, leben Sie im österreichischen Enzenkirchen. Aber es ist dann doch eher der schwarze Rio Negro, der Sie begeistert, als der grüne Inn?

Da sage ich Ja!